Statement
Zuerst war Romell Broom der Mann, dessen Hinrichtung gescheitert war, ein Fall, den ich anfing, zu recherchieren. Ich schaute mir die Polizei-Fotos aus den Akten an, las alles verfügbare Material über seine Vorstrafen als Teenager, seine erste Verurteilung und Gefängnisstrafe für Vergewaltigung, seine Verurteilung zum Tode.
Meine Recherche vermittelte mir das Bild des Täters.
Drei Monate nach der missglückten Hinrichtung saß ich Romell Broom leibhaftig gegenüber.
Und war verblüfft, dass er ein normaler Mensch war.
Ich sah den Mann hinter einer Glaswand, der seine Hände durch den Schlitz unterhalb der Glasscheibe steckte, um sie mir zur Begrüßung zu reichen.
Der mir ungewöhnlich sanft die Hände drückte und sie festhielt, mir geradewegs in die Augen blickte und mich fragte, wie’s mir gehe. Nett, charismatisch war mein erster Gedanke.
Er sagte sofort, er sei unschuldig an allem, was ihm zur Last gelegt wird.
Ich war geneigt ihm zu glauben, fragte mich: hat dieser Mensch, der meinem Blick nicht ausweicht, während er mit weicher Stimme seine Unschuld beteuert, die Verbrechen, die ihm zur Last gelegt werden, wirklich begangen?
Mittlerweile weiß ich, ja, er hat; nicht alle, doch auf alle Fälle die 11-jährige Melinda von der Straße gezerrt, brutal geschlagen, als Hure beschimpft und versucht sie zu entführen, ja, kein Zweifel, hat er getan. Inwieweit er in den Tryna Mord verwickelt war, unklar, aber auch denkbar, ja.
Und ich frage mich: wie geht das im Kopf von Romell Broom, das Mitgefühl in einem Moment auszublenden, die 11-jährige Melinda als ein Stück Dreck zu betrachten und ihr Gewalt anzutun und einige Stunden später wieder ein liebevoller Ehemann und Vater zu sein, der seiner Frau Zettel mit Liebesbotschaften in der ganzen Wohnung hinterlässt und mit seinem Sohn zusammen kocht?
Eines der ersten Interviews, das wir für diesen Film führten, war mit einer Vertreterin des OHDRC, Ohios Gefängnis- und Hinrichtungsbehörde.
Sie war bei der gescheiterten Hinrichtung von Romell Broom dabei.
Bemerkenswert an diesem Interview fand ich ihre Wortwahl, dass sie Ohios Hinrichtungsmethode mit den Worten professionell, menschlich und menschenwürdig umschrieb.
Dass sie meine Frage, ob sie alle Hinrichtungen mit ansehen würde, eifrig und stolz bejahte.
Und versicherte, sie habe keinerlei emotionale Probleme damit, dabeizustehen, während ein Todeskandidat für seine Hinrichtung vorbereitet und mit Leitungen versehen wird, durch die tödliches Gift in seine Adern geleitet werden soll. Es sei ihr Job.
Ihre Fähigkeit, jeden Gedanken über den Todeskandidaten, darüber was er getan oder nicht getan hat und was er empfindet, auszuklammern, fand ich abstoßend und faszinierend zugleich.
Ähnlich wie bei dem Täter Romell Broom fragte ich mich bei denen, die sich die gerechte Tötung des Täters anmaßen, die gleiche Frage: wie geht das? Wie bringen sie es fertig, zu vergessen, dass hier tatsächlich ein Mensch vor ihnen steht oder liegt, der Todesängste aussteht.
Vielleicht muss ihn beiden Fällen eine Entmenschlichung sowohl des Opfers als auch des Hinzurichtenden stattfinden, um den Tötungsauftrag oder Gewaltakt ohne Auftrag durchführen zu können.
Romell Broom beschimpfte die 11-jährige Melinda als Hure und schlug sie brutal, weil er sie erst ihres Menschseins berauben musste, bevor er ihr Leid zufügen konnte.
Und die Vertreter der Hinrichtungsbehörde schieben das Gesetz und die berufliche Pflicht vor, um statt des Menschen „nur“ den verurteilten Verbrecher sehen zu müssen, den sie seiner gerechten und verdienten Strafe zuführen.
Yvonne Pointer sieht mit unverstelltem Blick immer den Menschen, stellt sein Wohl und seine Würde über jedes System oder politische Überzeugung, über die eigene Nutznießung und Eitelkeit.
Darum ist Yvonne meine Heldin dieses Films.
Wenn man Menschen eine Chance gibt, können sie sich ändern.
Yvonne zeigt Tätern und Opfern gleichermaßen, dass der Hass, der nicht nur von Verbrechen erzeugt, sondern in staatlichen Hinrichtungen fortgesetzt wird, nur durch Verständnis und Liebe durchbrochen werden kann.
Biografie
Geboren und aufgewachsen in Bayern.
Nach dem Abitur Studium von Film und Malerei in der Film- und Videoabteilung Voorheen Audiovisuel der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam.
Während ihres Studiums schrieb Luise Lindermair ihr erstes Theaterstück, das als Teil des Theaterstücks Kom Terug unter der Regie von Erik de Volder am Nieuwpoorttheater in Gent in Premiere ging. Bei Kom Terug war sie auch Dramaturgin.
Sie schrieb und führte Regie bei mehreren Kurzfilmen.
War Regie-Assistentin bei deutschen Fernsehfilm-Produktionen.
In den vergangenen Jahren vorwiegend Dokumentarfilme.
Luise Lindermair wirkte als Co-Autorin und Regie-Assistentin an der Realisation von Der Unbekannte Soldat (2006) und Menschliches Versagen (2008) mit. Regie und Produktion bei beiden Filmen: Michael Verhoeven.
Im Zweifel Schuldig (in Postproduktion) hat Luise Lindermair zusammen mit dem Münchener Regisseur Axel Breuer entwickelt und geschrieben. Zudem war sie bei dieser Produktion als Regie-Assistentin tätig.
Die zweite Hinrichtung – Amerika und die Todesstrafe stellt eine neue Zusammenarbeit zwischen Luise Lindermair und Michael Verhoeven dar.
Luise Lindermair ist Co-Autorin, Regie-Assistentin und Interviewerin bei diesem Film.
Luise Lindermair hat kürzlich das fiktionale Drehbuch Kicking Ash mit dem amerikanischen Drehbuchautor Frederick Johntz fertig gestellt und arbeitet an zwei neuen Drehbüchern.